Spur zum Fjord by Rath Claudia

Spur zum Fjord by Rath Claudia

Autor:Rath, Claudia [Rath, Claudia]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783944576497
Herausgeber: K+S digital
veröffentlicht: 2015-12-05T16:00:00+00:00


7 Mordlust

Der nächste Tag beginnt mit bleischweren schmerzenden Gliedern unter einem Himmel, der aussieht, als leide er an einem schillernden Bluterguss.

»Richtiges Gruselwetter«, sagt Nina, als sie mir morgens die Grippetabletten ans Bett bringt.

»Danke«, krächze ich schniefend und stöhnend. Ruth lehnt mit einem abwartenden Gesicht im Türrahmen. »Sollen wir dich zum Arzt fahren?«

»Nein, nein, lass nur, es geht schon! Es muss Eilsens Erkältungsvirus sein. Wahrscheinlich ein aggressiver Blitzerreger.«

»Tja.« Ruth verschränkt die Arme vor der Brust. »Ich muss los. Aber du hast deine ganz persönliche Florence Nightingale ja schon gefunden.«

Es klingt, als würde Ruth sich nicht ganz und gar unbefangen darüber freuen. Nina tut so, als hätte sie Schwierigkeiten mit dem Verschluss der Mineralwasserflasche. Ich grinse harmlos.

»Also dann«, sagt Ruth. »Ich muss jetzt wirklich los.«

Nina dreht sich um und sieht zu ihr auf. »Tschüs, Süße. Ich wünsch dir einen schönen Tag!«

Auch ich für meinen Teil bemühe mich, eine angemessene Abschiedsfloskel zuwege zu bringen.

»Ich dir ebenfalls.« Ich winke ihr kraftlos zu.

»Hmmm«, knurrt Ruth ein wenig griesgrämig. »Sieht richtig gemütlich aus, Ihr beiden da … na ja …« Sie dreht sich um. »Bis heute Abend dann!«

»Bis dann!«

Kaum ist sie verschwunden, starre ich angestrengt auf die Bettdecke.

Wie laut so ein schlechtes Gewissen pochen kann. Ich höre es in den Ohren sausen und brausen und durch meinen Magen in die Nischen meiner Chakren krabbeln, in denen es für die nächsten tausend Jahre für Blockaden sorgen wird. Gut, dass ich an so etwas nicht glaube. Doch wer weiß?

Nina hat tatsächlich ein Problem mit der Mineralwasserflasche.

»Verdammter Mist, ich muss mit ihr reden. Unbedingt. Und zwar schleunigst.« Sie bekommt den Verschluss immer noch nicht auf.

»Soll ich mal?« frage ich, ohne den Blick zu heben.

»Okay, versuch du’s …« Sie reicht mir die Flasche. Meine Nase läuft. Hoffentlich tropft sie nicht gleich. Das wäre unglaublich peinlich und ein klein wenig unappetitlich. Die Flasche öffnet sich schließlich trotz meiner körperlichen Schwäche unter viel Gespritze und Gespratzel. Wir müssen beide lachen. Das ganze Bettzeug ist nass. Draußen fahren unterdes Blitz und Donner aus den Wolken. Wahrscheinlich, weil wir kurz vor einem handfesten Verrat an Ruth stehen. Nina sieht mich an, in ihren grünen Augen ein Leuchten.

»Was willst du ihr denn sagen?« frage ich sie.

»Die Frage kannst du nicht ernst meinen!« sagt sie mit einem vorwurfsvollen Mahnen, das ihre Augenbrauen in genau die Stellung bringt, die mir eine liebliche Gänsehaut den Rücken hinunterjagt. »Natürlich alles, wie es ist.«

Im nächsten Augenblick klingelt das Telefon.

»Moment«, sagt Nina. »Ich komme gleich wieder!«

»Das will ich hoffen«, murmele ich ihr verschnupft hinterher. Und bleibe fröhlich vergnügt zurück, verdränge Ruth und Dagmar aus meinen Gedanken und rufe mir den gestrigen Kuss wieder in Erinnerung. Da fliegen sie wieder, die berühmten Schmetterlinge. Ganze Schwärme streicheln mit bunten Flügeln meine Darmzotten. Taumeln tanzend über die Magensäure hinweg. Ach, wie ist das Leben schön, trotz aller Widrigkeiten, trotz aller Sorgen und trotz meines ja wohl sehr berechtigten Zweifels an der Existenz von Romantik. Die Welt ist dazu da, geküsst zu werden. Zumindest versuchsweise. Die Welt und ich, und ich bin sicher, dass sich Nina dafür zuständig fühlt.



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